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Pflege eines kranken Kindes bzw. Angehörigen

Fast alle berufstätigen Eltern kennen diese Situation: Das Kind wird plötzlich krank oder erleidet im Kindergarten oder in der Schule einen Unfall, und man selbst muss zur Arbeit. Wie löst man den Konflikt zwischen elterlicher Fürsorgepflicht und der Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber? Dies richtet sich – abhängig vom Versichertenstatus – nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften oder nach einer sozialversicherungsrechtlichen Sondernorm (§ 45 SGB V). Wichtig ist, zu prüfen, ob es Regelungen im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung gibt!

Insbesondere bei kleineren Kindern oder schwereren Erkrankungen sollten die Eltern selbst die Betreuung, Pflege oder notwendige Arztbesuche übernehmen. Ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung besteht für gesetzlich Versicherte gemäß § 45 SGB V und für privat Versicherte gemäß § 616 BGB.

Die Regelung des § 45 SGB V:
Für gesetzlich versicherte Elternteile und deren gesetzlich versicherte Kinder gilt in erster Linie § 45 SGB V. Demnach haben Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen für eine bestimmte Dauer Anspruch auf Krankengeld gegenüber ihrer Krankenkasse und für die Zeitdauer dieses Anspruchs auch einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Die Regelung des § 616 BGB:
Privat versicherte Arbeitnehmer/-innen haben nur einen Anspruch gemäß § 616 BGB. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer für kurze Zeit von der Arbeitsleistung freistellen und das Entgelt weiterzahlen, damit das kranke Kind betreut und/oder nach einer anderen Betreuungsperson gesucht werden kann. Im Normalfall wird im Rahmen des § 616 BGB nur eine bezahlte Freistellung von wenigen Tagen („eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“) als gerechtfertigt angesehen werden können.

Allerdings haben privat versicherte Arbeitnehmer/-innen gem. § 45 Abs. 5 SGB V auch einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Und zwar entsprechend der Dauer des Anspruchs von gesetzlich Versicherten auf Krankengeld gem. § 45 Abs. 3 und 4 SGB V.

  • Es muss nach ärztlichem Attest (Vorlage!) erforderlich sein, dass Mutter/Vater zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und (gesetzlich) versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben.
  • Eine andere im Haushalt lebende Person kann das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen.
  • Das Kind darf noch nicht 12 Jahre alt sein, es sei denn, es ist aus anderen Gründen (z.B. Behinderung) auf Hilfe angewiesen.
  • Das Kind muss (über einen Elternteil) gesetzlich krankenversichert sein.

Für jedes Kind darf man sich längstens 10 Tage pro Kalenderjahr freistellen lassen (Alleinerziehende: 20 Tage), insgesamt aber nicht mehr als 25 Tage pro Jahr (Alleinerziehende: 50 Tage). Wenn sowohl Vater als auch Mutter berufstätig sind, können beide jeweils für jedes Kind die Höchstdauer beanspruchen. Der Anspruch kann mit Zustimmung des Arbeitgebers auf den jeweils anderen Elternteil übertragen werden, wenn ein Elternteil aus beruflichen oder persönlichen Gründen der Arbeit nicht fernbleiben kann.

Die Höhe des Krankengeldanspruchs ist in § 45 SGB V geregelt. Ausgangswert für die Berechnung des Krankengeldes ist das während der Freistellung ausgefallene Nettoarbeitsentgelt aus beitragspflichtigem Arbeitsentgelt.

Die Krankenkassen zahlen 90 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts. Haben Arbeitnehmer/-innen in den der Freistellung vorangegangenen zwölf Kalendermonaten einmalige Zahlungen wie z. B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld erhalten, beträgt das Kinderkrankengeld 100 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts. Das Kinderkrankengeld darf allerdings die Höchstgrenze von 70 % der Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreiten. Im Jahr 2018 beträgt der Tageshöchstsatz daher 103,25 EUR.
 

In § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V heißt es: „Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 haben für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht.“

Das bedeutet, § 45 SGB V ist gegenüber § 616 BGB subsidiär - der Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung gegenüber dem Arbeitgeber geht dem Anspruch auf unbezahlte Freistellung vor.

Aber § 616 BGB kann arbeitsvertraglich ausgeschlossen werden. Es ist also unbedingt empfehlenswert, sich in einer solchen Situation seinen Arbeitsvertrag noch einmal ganz genau anzuschauen!

Ist im Arbeitsvertrag (oder auch im Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung) eine Regelung zur bezahlten Freistellung von Arbeitnehmern im Falle eines erkrankten Kindes getroffen, so geht diese Regelung vor. Ist keine Regelung getroffen, so gilt zunächst („für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“) § 616 BGB, danach greift für die maximale Höchstdauer der Anspruch gem. § 45 SGB V ein. Ist § 616 BGB arbeitsvertraglich ausgeschlossen, so haben gesetzlich Versicherte einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung und Pflegekrankengeld gem. § 45 SGB V, privat versicherte Arbeitnehmer haben nur Anspruch auf unbezahlte Freistellung.

Ein zeitlich unbegrenzter Anspruch auf unbezahlte Freistellung (für alle Arbeitnehmer/-innen) und Krankengeld (für gesetzlich Versicherte) besteht bei unheilbar schwerkranken Kindern mit nur noch begrenzter Lebenserwartung. Die Kinder dürfen ebenfalls noch nicht das 12. Lebensjahr vollendet haben oder sie müssen aufgrund einer Behinderung oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesen sein. Die gesetzlichen Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen und ärztlich bezeugt sein. Es ist sinnvoll, sich in einem solchen Fall individuelle Beratung bei einem Sozialträger zu suchen.

Die Pflege naher Angehöriger (z.B. Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner, Kinder, Geschwister) richtet sich in erster Linie nach dem Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz - PflegeZG) und dem Gesetz über die Familienpflegezeit (Familienpflegezeitgesetz - FPfZG). Pflegezeit und Familienpflegezeit können miteinander kombiniert werden, dürfen allerdings zusammen 24 Monate nicht überschreiten (§ 4 Abs. 1 S. 4 PflegezG, § 2 Abs. 2 FPfZG).
 

Pflegezeitgesetz:

Ziel des Pflegezeitgesetzes ist, Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern (§ 1 PflegeZG). Das Gesetz unterscheidet zwischen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung im Akutfall und der auf längere Zeit ausgerichteten Pflegezeit.

Kurzzeitige Arbeitsverhinderung:

Nach § 2 PflegeZG haben Beschäftigte das Recht, bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen.

Die Verhinderung an der Arbeitsleistung und deren voraussichtliche Dauer müssen dem Arbeitgeber unverzüglich mitgeteilt werden. Eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit und die Erforderlichkeit der in § 2 Abs. 1 PflegeZG genannten Maßnahmen müssen auf Verlangen vorgezeigt werden.

Pflegezeit:

Eine vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung kann beansprucht werden zur

  • Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung (§ 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG)
  • Betreuung eines minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher oder außerhäuslicher Umgebung (§ 3 Abs. 5 S. 1 PflegeZG)
  • Begleitung eines nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase (§ 3 Abs. 6 S. 1 PflegeZG)

Die Pflegebedürftigkeit ist durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nachzuweisen. Ein entsprechender Nachweis ist bei in der privaten Pflege-Pflichtversicherung versicherten Pflegebedürftigen zu erbringen (§ 3 Abs. 2 PflegeZG). Im Rahmen des § 3 Abs. 6 PflegeZG ist ein Nachweis durch ärztliches Zeugnis erforderlich.

Kein Freistellungsanspruch besteht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten (§  3 Abs. 1 PflegeZG).

Die Ankündigung muss schriftlich erfolgen und es ist gleichzeitig zu erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung von der Arbeit in Anspruch genommen werden soll. Bei nur teilweiser Inanspruchnahme der Freistellung ist zudem die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit anzugeben. Die Ankündigungsfrist beträgt zehn Arbeitstage (§  3 Abs. 3 PflegeZG).

Durch die Erklärung der Inanspruchnahme der Pflegezeit treten unmittelbar die Rechtsfolgen der Pflegezeit ein.

Die maximale Dauer der Pflegezeit beträgt für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen längstens 6 Monate. Ist Pflegezeit für einen kürzeren Zeitraum beansprucht worden, kann die Pflegezeit mit Zustimmung des Arbeitgebers bis zur Höchstdauer verlängert werden. Ein Anspruch auf Verlängerung besteht, wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann (§ 4 Abs. 1 PflegeZG).

Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Freistellung ergibt sich aus dem PflegeZG nicht (§ 2 Abs. 3 PflegeZG). Eine Verpflichtung zur Fortzahlung der Vergütung kann sich aber aus anderen gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 616 BGB) oder aufgrund Vereinbarung ergeben (z.B. Arbeitsvertrag, Tarifvertrag). Allerdings kann § 616 BGB auch durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag ausgeschlossen werden.
 

Familienpflegezeitgesetz:

Ziel des Familienpflegezeitgesetzes ist, die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern.

Gem. § 2 FPfZG können Beschäftigte, die eine/n pflegebedürftige/n Angehörige/n in häuslicher Umgebung pflegen, für längstens 24 Monate ihre Arbeitszeit reduzieren. Für die Betreuung eines/einer minderjährigen pflegebedürftigen Angehörigen können sich Beschäftigte unter den Voraussetzungen auch für die außerhäusliche Betreuung teilweise freistellen lassen (§ 2 Abs. 5 FPfZG).

Die verringerte Arbeitszeit muss während der Familienpflegezeit wöchentlich mindestens 15 Stunden betragen (§ 2 Abs. 1 S. 2 FPfZG).

Der Anspruch auf Familienpflegezeit besteht nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 25 oder weniger Beschäftigten. Auszubildende werden nicht mitgezählt (§ 2 Abs. 1 S. 4 FPfZG).

Die Familienpflegezeit ist dem Arbeitgeber spätestens 8 Wochen vor dem gewünschten Beginn schriftlich anzukündigen. Gleichzeitig ist zu erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung von der Arbeit in Anspruch genommen werden soll. Die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit ist dabei anzugeben (§ 2a Abs. 1 FPfZG).

Damit der Lohnausfall während Pflegezeit und Familienpflegezeit besser abgefedert werden kann, gewährt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben auf Antrag der Beschäftigten nach Maßgabe des § 3 FPfZG ein zinsloses Darlehen.
 

Als nahe Angehörige im Sinne des PflegeZG gelten gem. § 7 Abs. 3 Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Stiefeltern, Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen oder lebenspartnerähnlichen Gemeinschaft, Geschwister, Ehegatten der Geschwister und Geschwister der Ehegatten, Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Lebenspartner, Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder.

Gemäß § 4 PflegeZG beträgt die Höchstdauer der Pflegezeit sechs Monate. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 15.11.2011 (AZ: 9 AZR 348/10) entschieden, dass die Pflegezeit gemäß § 3 des PflegeZG nicht aufgesplittet werden darf. Das bedeutet, dass mit der erstmaligen Inanspruchnahme von Pflegezeit gemäß § 3 des PflegeZG das Recht auf weitere Inanspruchnahme erloschen ist, auch wenn die genehmigte Pflegezeit die Höchstdauer von sechs Monaten unterschreitet. Es wird anscheinend befürchtet, dass sich Arbeitnehmer/-innen mit der Aufteilung der Pflegezeit Sonderkündigungsschutz erschleichen wollen. Das BAG geht davon aus, dass § 3 PflegeZG Arbeitnehmer/-innen nur ein einmaliges Gestaltungsrecht bietet, das durch die Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber, Pflegezeit – egal in welchem Umfang – zu nehmen, ausgeübt wird. Eine Verlängerung der Pflegezeit gemäß § 3 ist nur mit Zustimmung des Arbeitgebers oder aber dann möglich, wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus wichtigem Grund nicht erfolgen kann. Eine Verlängerung muss sich aber nahtlos an die bereits erfolgte Freistellungsphase zu Pflegezwecken anschließen – eine Wiederaufnahme der Tätigkeit schließt eine Verlängerung aus.

In dem der Entscheidung des BAG vom 15.11.2011 zugrunde liegenden Fall beantragte der Arbeitnehmer Pflegezeit gemäß § 3 für einen Zeitraum von fünf Tagen. Den Antrag auf weitere zwei Tage Pflegezeit einige Monate später lehnte der Arbeitgeber ab, und die Rechtsprechung gab ihm Recht. Dies ist natürlich für Arbeitnehmer/-innen höchst unpraktikabel, denn teilweise wird die Pflege von verschiedenen Angehörigen im Wechsel vorgenommen, und zum Teil erfordert die Krankheit des zu Pflegenden mal mehr, mal weniger intensive Betreuung.

Gemäß § 5 Abs. 1 PflegeZG darf der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung, höchstens jedoch zwölf Wochen vor dem angekündigte Beginn, bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG oder der Freistellung nach § 3 PflegeZG nicht kündigen. Nur in besonderen Fällen kann eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ausnahmsweise für zulässig erklärt werden.

Zum Weiterlesen: Hier finden Sie den Text des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes.

Redaktioneller Stand: Juli 2018

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